AW: Der Barsoi
hier folgt der erste Versuch, eine kurze Erzählung mit Bildern zu schicken
Das Häschen
Nach Feodora`s Tod wurde Grischa zum gebrochenen Mann. Er zog sich zurück von der Außenwelt und hatte keine Wünsche außer einem - sein Mädchen abzuholen. Es war schrecklich, dieses Leid mit ansehen zu müssen.
In einem Telefongespräch mit dem Züchter unseres Barsois erfuhren wir, daß ein Halbbrüderchen von Grischa, der eineinhalbjährige Esschai, eventuell als Partner zu Grischa passen würde. Und so, wie das letzte mal, fuhren wir in einer Nacht -und Nebel-Aktion in Richtung Norden.
Am sehr späten Abend kamen wir an und etwas fast ganz Weißes, Zartes, unglaublich Graziles empfing uns freundlich an der Tür. Mit leisem unsicherem Knurren begrüßte der Kleine den reckenhaften Grischa, der sich dadurch nicht stören ließ, und vor Vergnügen, sein altes Heim wiederzusehen, zu unserem Entsetzen anfing, die Stuhlbeine zu bepinkeln.
Die Jungs fanden sich sympathisch und erleichtert machten wir uns auf den Weg. Die ganzen 500 km Heimfahrt ereiferte sich die gesamte Familie in heftigen Diskussionen, welchen russischen Rufnamen Esschay bekommen sollte. Am Ende fanden wir, daß nur der Name „Saika“, was auf russisch ganz zärtlich „das Häschen“ bedeutet, für dieses bezaubernde Wesen passen kann. Im Morgengrauen kamen wir endlich nach Hause, stellten dem Saika das neue Heim vor und fielen in einen traumlosen Schlaf. Als nach nur drei Stunden alle wieder zu sich kamen, herrschte in der Wohnung das absolute Chaos: überall verstreut lagen die Hundeleckerbissen, im Wohnzimmer, mitten auf dem Teppich präsentierte sich ein angeknabberter Brotlaib, und Saika spazierte mit triumphierender Mine durch das Haus und verteilte an alle zärtliche Küsse.
Der neue Lebensumstand versetzte Grischa in einen leichten Schockzustand: über Nacht wurde unser schüchterner Junge zum (Zweimann-) Rudelchef. Das brachte gewisse Pflichten mit sich: ständig das Bein heben zu müssen und nicht wie früher in lässiger Hocke träumerisch den Himmel beobachtend mitten auf der Wiese zu pinkeln, dem kleinen Brüderchen Freunde und Feinde in der dörflichen Hundegemeinde zu zeigen und ständig aufzupassen, daß dem Schutzbefohlenem nichts passiert. Saika unterstütze Grischa eifrig in seiner Rolle als Chef: Das erste geklaute Frühstücksbrötchen wurde eilig zu Grischa`s Bett gebracht und dort ehrerbietig abgelegt, ständig wurde der Ältere abgeknutscht und zum Spielen aufgefordert. Und das Einschleimen lohnte sich: Grischa schloß Saika in sein Herz.
Das neue Familienmitglied brachte einen unglaublichen Tatendrang mit geschickt eingeflochtenen leicht destruktiven Elementen mit. Wenn sich Grischa nach stundenlangem Spaziergang mit anschließender üppiger Mahlzeit selig in sein Bett kuschelte, durchlebte Saika den Höhepunkt seiner Lebensenergie. Ich konnte zusehen, wie er nachdenklich im Garten stand und seine Umgebung musterte. Plötzlich verschwindet er hinter dem Haus und kommt mit einem leeren Blumentopf zurück, nimmt ihn auseinander. In der nächsten Sekunde kaut er an den frisch gepflanzten Rosen, um anschließend im Haus zu verschwinden und mit einer riesigen Gurke im Maul wieder aufzutauchen. Und so verbringt er den ganzen Tag.
Das Rätsel um soviel Tatendrang löste sich ganz einfach: Nach unserer vorsichtigen Nachfrage beim Züchter gab dieser mit gut heraushörbarer Genugtuung zu, daß Saika von ihm ein Vermächtnis beim Abschied ins Ohr geflüstert bekam: „Bring diese Familie auf Trab, lenke sie von ihrem Kummer ab und nimm Dir, was Du kriegen kannst“. Und das kleine Teufelchen mit dem Engelsgesicht bemühte sich, dieses Vermächtnis zu erfüllen. Wir lachten ständig über seine Scherze, bemühten uns, ihm begreiflich zu machen, daß man Sofakissen und Kugelschreiber nicht töten darf, und sahen glücklich zu, wie beide Jungs engumschlungen auf der Couch lagen.
Unser Grischa wurde zur geduldigen, liebevollen Amme für den jungen Saika, der seine Narrenfreiheit voll auskostet, aber auch nicht mißbraucht. Wir sind alle glücklich miteinander und die beiden Jungs machen dieses Glück vollkommen.
Ludmila