Tja,
dumm gelaufen.
Ich ärgere mich jetzt, hier nicht eher wieder geantwortet zu haben.
Obwohl, vielleicht ist es gerade für Simones Kinder besser so.
Gerade für Kinder macht es keinen Sinn, mit einem Hund umzugehen, vor dem Familienmitglieder - und bald sie auch- berechtigte Angst haben.
Für den Cocker aber tut es mir verdammt leid!
Ich habe jetzt den zweiten bissigen Tierheimhund in Pflege. Der erste, ein 10 jähriger Neufundländer, hat mich auch am ersten Tag in die Hand gebissen.
Er fühlte sich von meiner Hand bedroht. Nach 3 Monaten seelischem Aufgepäppelt werden, lebte er noch weitere 3, 4 Jahre glücklich bei seiner neuen Familie, wobei er, in der Anfangszeit, noch einmal deren Tierarzt biss.
Ich habe damals schon gelernt, dass für neurotische Hunde andere Erwartungshaltungen gelten müssen, als bei der Erziehung eines seelisch gesunden Kötis. Einen seelisch gesunden Hund würde ich heftig tadeln, wenn
er beissen wollte. Ich scheue auch nicht zurück, ihn situativ am Nacken zu packen, oder unter der Kehle, und ihn massiv unterzuordnen. ( So geschehen mit meinem letzten Lucyhund, als sie dreijährig, anfangen wollte, andere Hunde aus Eifersucht zu beissen. Zweimal diese Strafe wiederholt - lebenslang fertig das Thema. Sie wusste jetzt, dass ich solche Übergriffe absolut nicht dulden würde.)
Aber mit mit manchen neurotischen Tierheimhunden darf man das so nicht machen, man verschlimmert dadurch die Situation eher.
Deshalb jetzt für alle anderen, die es interessiert: Warum beissen mache Tierheimhunde?
Grund 1: Sie wurden vorher schon vom ersten/zweiten Besitzer falsch behandelt und verdorden - und das ist in manchen (vielen?) Fällen der Grund, weshalb deutsche Hunde in deutschen Tierheimen landen. Der Besitzer kam nicht mehr mit ihnen klar, subjektiv gab er dem Hund die Schuld, obwohl es seine Unfähigkeit in der Hundeerziehung war.
( Mittelmeerhunde landen z.B. oft aus anderen Gründen in der Tötung und dann im Tierheim: Waren zur Jagd nicht tauglich, waren eh auf der Straße geboren und Streuner, gehörten zu einem Wurf, der ausgesetzt wurde. Gut, viele werden auch schlecht behandelt, aber deren Besitzer bringen sie explizit nicht ins Tierheim, sondern setzen sie aus - wobei sie im Ausgesetztsein, noch eine kleine Chance haben, von ihren seelischen Verletzungen zu genesen, wenn es gut läuft... Sie finden andere freilaufende Strandhunde, lernen Rudelverhalten, lernen, dem Menschen gegenüber clever - und auch nett - zu sein, um an Nahrung zu kommen. - Erst dann kommt die Tötungsstation- und dann das Tierheim, und damit das nächste Verbogenwerden.)
Grund 2. warum manche Tierheimhunde beissen, ist das Tierheim an sich.
Dort sitzen nun Hunde zusammen eingesperrt, die sich um die knappen Ressourcen, die ihre Seele aufbauen könnten, streiten müssen: Um's Futter, ums Wasser, die Decke, um die Lösungsplätze in der Zelle. Menschlicher Bezug ist knapp, die Zellenmitglieder müssen - auf Gedeih und Verderb- miteinander auskommen. Sobald einige Hunde zusammen gesperrt werden, entsteht binnen kurzer Zeit eine Rudelstruktur, die aber nicht dem Rudel in der Freiheit vergleichbar ist, bei dem schwache Mitglieder immer noch ausweichen können, sondern eher Parallelen zeigt zum menschlichen Strafvollzug in Mehrpersonenzellen: Der Stärkste setzt sich durch! Zum Stärksten gehören die Zweit- und Drittstärksten, die von seiner Stärke profitieren, indem sie das "mitbellen", was der Stärkste als Thema vorgibt, und was in den kleinen Zellengemeinschaften, weitab von normaler Struktur,
durchaus pervertiert sein kann.
Denn neben den Stärksten gibt es ja noch die Schwachen. Und da der Zellenraum begrenzt ist, werden diese nun die täglichen Opfer der Stärkeren in diesem Verbund. ( Ich erinnere an die Vergewaltigungsvorfälle zwischen männlichen Häftlingen in deutschen Gefängnissen, bis hin zum gemeinschaftlichen Umbringens eines Zellengenossens.)
Ähnlich ist es auch in manchen Tierheimzellen. Gut , ich hoffe mal, in deutschen Tierheimen wird kein Hund von anderen zu Tode gebissen, da sind dann wieder die Tierheime ums Mittelmeer führend -- aber die Schwächeren werden massiv gemobbt!
Und was bleibt so einem schwächeren, gemobbten Hund anderes übrig, als ständig in "Hab-acht" Stellung zu verbleiben? Er findet selbst im Schlaf keine Ruhe, weil immer wieder einer von den Stärkeren erwacht und ihn quält. Und er kann nicht fort! Er ist ja mit denen eingesperrt! Er wird gejagt und gebissen. Bald kann er gar nicht mehr anders, als in einer Ecke zu kauern, und von da aus, bei jedem anderen Hund der sich nähert, hervorzuknurren und hervorzublaffen. Im Zweifel auch als Erster zuzubeissen.
Nach einiger Zeit des gemobbt werdens, kann Hund nicht mehr unterscheiden, ob eine Geste freundlich gemeint ist oder nicht, JEDE Geste in seiner Nähe ist ein potentieller Angriff! - Und wie ist das erst, wenn ein eigentlich sanfter, schwacher Hund einige Jahre in einem schlechten Tierheim war?
Dann hat sich seine aggressive Abwehr - einfach um sein tägliches Überleben zu sichern! - völlig eingeschliffen!
Der Hund, der dann zum Menschen kommt, besteht in der inneren Grundhaltung quasi nur aus Angst und tiefem Anlehnungbedürfnis. Darüber hat sich aber eine gefestigte Haltung aus verteidigender Aggression gelegt.
"Bitte-nicht-zu-nahe-kommen, du willst mir ja doch was!!!"
So ein Hund kann zunächst- und auch längere Zeit- nicht einordnen, ob menschliche Gesten gut gemeint sind. Bisweilen kann er sich hingeben, ist sanft, verspielt, aber immer wieder überrascht ihn seine eigene Aggression. In bestimmten Situationen, bei bestimmten Gesten, kochen unwillkürlich alte Ängste hoch.
Was er im Hunderudel im Tierheim als schwaches Mitglied erlebte, begegnet ihm innerlich jetzt im Menschenrudel erneut.
"Damals wollten sie mir an den Kragen! Jetzt wollen sie es auch! Ich bin nur entkommen, weil ich mich damals verteidigt habe!" Das denkt er natürlich nicht in Worten - aber er spürt eine gewisse Ähnlichkeit. Und affektiv knurrt und beisst der Hund!
Das Nackenfell sträubt sich, er kann keinen Menschen mehr um sich sehen, jeder flößt ihm Angst ein. Wo ist die Ecke, in der er sich verkriechen, und in der er etwas sicher fühlen kann? Oh Gott, da kommt ja schon wieder ein weiterer Mensch ins Zimmer! - Wo ist der über Jahre bekannte Zwinger? Mit der Ecke, mit meiner Ecke, die ich doch schon so gut verteidigen konnte?
Natürlich kann es auch noch an der schlechten Behandlung des Vorbesitzers liegen, der die falschen Weichen stellte. Dennoch, Hunde können vergessen. Sie scheinen vor allem das abzuspeichern, was gerade in der letzten vielmonatigen Vergangenheit geschah. Ich vertrete jetzt mal die abenteuerliche These, dass langjährig schlechtgehaltene Tierheimhunde, ihre dortigen Rudelerfahrungen auf ihr neues Menschenrudel übertragen.
Für Menschen ist es besser, Hunde auszuwählen, die nur kurz im Tierheim waren, weil denen das Vergessen des Erlebten leichter fällt.
Sie können sich schneller zum Menschen gesellen, ohne diese tiefen Traumata immer wieder unbewusst herauf beschwören zu müssen.
Was also tun mit einem neurotischen Hund?
Es ist das, was Batida schon betonte, und Uli und ich anschnitten: ZEIT lassen!
Zunächst - über einen geregelten Tagesablauf- Vertrauen wachsen lassen, damit der Hund vergisst! Je mehr er aus seiner letzten Vergangenheit vergessen kann und neues Vertrauen und eine neue Welt mit anderen Maßstäben findet, desto besser.
Auf seine Körpersignale achten und sich daran orientieren, um diesen Prozess zu unterstützen.
Zunächst keine großen Gehorsamsübungen und keine Hundeschule.
Das brauch' mer jetzt nicht, das kommt alles später.
Hier geht es erstmal darum, das Vertrauen und die Entspannung des Hundes hinzukriegen.
Viel neben ihm vorbeischauen, sofern er nicht selber unseren Blick sucht, aber auch dann, in der ersten Zeit, noch lieber weggucken. Blinzeln, freundlich gähnen - Hund lassen wie er ist! Ihm die Möglichkeit geben, situativ von selber auf einen zuzukommen. Kein Kämmen, kein Bürsten, sofern Hund nicht ausdrücklich der Bürste entgegenstrebt, und es sofort lassen, wenn sein Wohlbefinden dabei erlischt.
Vorsichtig kleine Spiele beginnen, ihn begeistern...darüber Erziehung erproben.
Na, das Programm wächst natürlich innerhalb der nächsten Monate - aber wenn ein angstbeissender Kerl einige Wochen so innerlich wachsen durfte, steht der nach drei Monaten schon ganz anders da.