Neuer Pflegehund

AW: Neuer Pflegehund

Huhu Batida, :)

und danke der Nachfrage.
Nein, ich habe noch niemanden, der ihn mir abnimmt. Da werde ich wohl noch etwas suchen müssen.

Tinos Verhalten hat sich Bonnie gegenüber inzwischen sehr gebessert, wenn er auch leider nicht mit ihr spielt.
Anfangs musste er begreifen, dass ich sie vor ihm schütze und beschütze. Nachdem er das ( widerwillig) akzeptiert hatte, spielte ihm seine eifersüchtige Seele einen Streich: Er konnte im wahrsten Sinne des Wortes, nicht mitansehen, wenn ich nett zu Bonnie war. Sicher zwei Wochen lang, musste er sich immer abwenden, wenn ich Bonnie streichelte, oder bei ihr Zecken entfernte, oder er sie bei mir im Bett entdeckte. Er hat sich dann hingesetzt und uns demonstrativ den Rücken zugekehrt. Gelegentlich ein kleiner Blick über die Schulter, ob sich die Situation vielleicht inzwischen geändert hätte? Und wenn ja, kam er zu mir angetrapst. Ich fand es zum piepen!

So, das hat sich aber inzwischen geändert, Tino akzeptiert, dass ich Bonnie streichele und anschließend ihn, oder auch beide zugleich.

In der letzten Nacht hat der verrückte Köter doch tatsächlich eine Maus gefangen! In der Wohnung, in meinem Malzimmer! Ich wusste, dass es diese Maus gibt und verfolge sie seit einer Woche mit den schönsten Spezereien in der Lebendfalle, aber das Viech ging nicht rein. - Nu, dumm gelaufen, jetzt ist es aus mit ihr. Im Laufe des gestrigen Abends wunderte ich mich durchaus, wieso Tino , wie eine Katze, vor den Schränken hockte. Und als ich ins Bett ging, hatte er tatsächlich die Maus gefangen und erlegt. Er hat sie nur totgebissen, nicht gefressen.
Für beides war ich ihm sehr dankbar, wenn ich dem besitzergreifenden Tino das Viech auch nicht wegnehmen konnte. Es musste bis heute früh tot vor der Schlafzimmertür liegen, dann hatte Pflegehund es vergessen.

Ich hatte viel Stress in seit Anfang Juni, viel Druck, viel Angst.
Bonnie ist krank, aber ich konnte sie nicht operieren lassen, weil mir die Mittel dazu fehlten. Das kam unter anderem auch deshalb, weil der neue Mieter, den ich für meine Wohnung in meinem Elternhaus gewonnen hatte, nicht zahlte und auch immer noch nicht zahlt. Ich werde ihn vor die Tür setzen müssen.
Jetzt aber zum heutigen Tag und zur heutigen Geschichte: Ich habe von Freunden vorgestern finanzielle Hilfe versprochen bekommen, und kann Bonnie noch diese Woche operieren lassen! Der Optermin ist Donnerstag ab 8 Uhr. Über dieses Geld freue ich mich riesig, und auch darüber, dass meinem Hund jetzt geholfen wird.
Aber andererseits, seitdem der Termin steht, habe ich richtig große Angst davor. Immer wieder erwischt es mich hintenherum, dass ich mich fürchte. Und unter der Vorstellung leide, dass Bonnie damit zunächst noch heftigere Schmerzen zugefügt werden. Es ist irrational, okay? - Aber es ist da.

Dann ist neulich meine Waschmaschine kaputt gegangen. Ich habe vor einer Woche eine gebrauchte neue von dem Waschmaschinenfritzen gekauft, von dem ich schon eine hatte. Die hat, für kleines Geld, 7 Jahre gehalten - diese nicht einen Tag. Jeden Tag muss seitdem der Waschmaschinenmann kommen und daran herumreparieren. Ich meine, sie wusch, aber sie pumpte nicht ordentlich das Wasser ab, nach dem Schleudern war die Wäsche noch richtig nass. Heute morgen war der Kerl wieder da, und hat sie zum abpumpen überredet - seitdem hat die Maschine aber das Waschen komplett eingestellt. Das Programm tickt sich durch, sie zieht auch Wasser- aber die Trommel steht. Halleluja!

Na, und als ich dann nach dieser Entdeckung aus dem Keller kam - vorher hatte ich verschiedene Essenssachen auf den Schrank geräumt - hatte Tino mir ein halbes, gebratenes Huhn geklaut. Das sollten die Hunde ohnehin haben, denn es war alt, aber ohne splitternde Knochen, okay?
Tino war begeistert über seine Beute! Abgeben? - Niemals!
Auf meine Versuche, ihm das wegzunehmen, rannte er in den Garten. Das war schon mal gut, fand ich, denn der erlaubt mehr Bewegungsspielraum als eine Wohnung, in der er sich zum Beispiel damit auch unter einen Schrank hätte verziehen können.

Und nun? Der Schirm, mit dem ich ihm neulich die Nahrungsmittel zwischen den Pfoten wegzog, war im Auto. Den Besen nehmen? Nein, das wäre die Alternative bei Schrankunterraumbesetzung gewesen.
Also habe ich den großen Angelkäscher geholt, und dem Tino das Huhn damit weggefischt.
Der biss wütend rein in den Käscher, zerriss ihn, doch das Geflügel blieb dankenswerter Weise in den Maschen hängen. Tino sprang an mir hoch wie ein Flummiball, also bin ich rasch auf den Terrassentisch geklettert.
In sicherer Höhe habe ich das Hühnchen zerpflückt und dem Hund die essbaren Brocken hingeworfen. Puuh! Geschafft! Tino war beschäftigt.
Erleichtert stieg ich herunter, ging zur Mülltone, warf die Knochen fort.
Nahm den Käscher ausseinander, dass er in die Tonne passte, warf auch ihn fort.

Als ich in die Küche zurückkam, wunderte ich mich über meinen Tinohund. Der lag unter dem Tisch - und er sah tatsächlich so aus, als ob er betete. Er hielt die Pfötchen gefaltet, hatte andächtig den Kopf darüber gebeugt... erst auf den zweiten Blick begriff ich: Er hatte mir eine Teewurst gestohlen, und war nun dabei das Plastik zu verzehren.
"Tino aus!" - "Knurr!"
"Aus Tino!" - "Knurr!
"Tino, Plastik ist giftig! Komm, gib mir die Wurst!" - "Knurrrrrr!"

Ich habe noch eine Weile hilflos hin und her geredet.
Ich habe die Haarbürste geholt, versucht ihn damit unter dem Tisch hervorzulocken. Er betrachtet die Bürste, entschied sich aber für die Wurst. Was nun? Der Käscher war ja kaputt.
Ich ging in den Keller und schnappte mir die Grillzange.
Kaum hatte ich die unter den Tisch gesteckt, entwickelte sich mein Besuchshund zur Furie. Wütend biss er hinein, seine Zähne fanden Platz zwischen den metallenen Aussparungen, und mit dem dranhängenen Tino konnte ich die Wurst nicht greifen.

Es dauert ja lange bei mir, aber jetzt war ich richtig sauer. Mir als nächstes stand die Bodum-Kaffekanne, die habe ich halb mit Wasser gefüllt, und es dem Tino - schwapp! - mitten ins Gesicht gegossen.
Der ließ Zange und Wurst fahren, sprang, sich schüttelnd, in den Garten, wo er sich hinter der nächsten Hausecke versteckte. Soll er doch, dachte ich, und schlug ärgerlich die Tür zu. Sollte das Mistvieh doch draussen bleiben!

Ich ging in den Keller und unternahm einen neuen Waschversuch. Keine Reaktion seitens des Maschinchens - die Trommel stand.
So frustrierend dies auch war, ich hatte mich zumindest bezüglich Tino abgeregt. Ich öffnete die Haustür wieder, schaute nach ihm hinter der Hausecke, schaute nach ihm im Garten - der Hund war weg.

Neeiiin! dachte ich, nicht dass der jetzt aus Frust irgendwie fortgelaufen ist? Auf den Straßen umherirrt? Überfahren wird? Muss ich hinterher, und ihn suchen? Stress!
Bei unserem großen Bauerngrundstück gibt es immer Möglichkeiten, dass Hunde entkommen können, wenn sie es in seelischer Irritation wirklich wollen.
Im nächsten Atemzug fiel mir ein, dass Tino, wenn er muss, immer hinten hinter den Schuppen geht, und ich dachte, ich warte noch mal eine Weile.
Mit angstklopfendem Herzen ging ich in die Küche, räumte ein wenig auf.
Aber der Gedanke war richtig gewesen.
Zwei Minuten später spazierte der Kleine durch die Eingangstür.
Aber was hatte ich jetzt für einen Hund vor mir?
Es war die reine Liebe! Das vorher so garstige Köti umschwänzelte mich, leckte mir die Knie, kringelte sich zwischen meinen Beinen, um möglichst viel Berührung zu erwischen. Die "Erziehungsgeli" hat ihm dann mit strenger Stimme gesagt: "Sitz!" - Er saß wie eine Eins. "Pfötchen!" - Auf der Stelle schnellte die Pfote hoch. "Platz!" - Er lag sofort.
Also habe ich mich verzeihend auf den Teppich gehockt und ihn gestreichelt. Er konnte es kaum fassen, er hat seine Nase zwischen meine Beine gedrängt, und ist mir dann fast unter den Pullover gekrochen vor lauter Glück.

Na, und dann habe ich da auf dem Teppich gehockt und geweint.
Ich konnt' gar nicht anders, das Schluchzen und die Tränen kamen wie unabstellbar. Weil ich darüber selbst erstaunt war, bin ich ins Wohnzimmer gegangen und habe mich in einen Sessel gesetzt.
Tino hinter mir her. Er versuchte alles, um mich mit Liebe und ankuscheln zu trösten. Die kranke Bonnie, die in den letzten Tagen, außer zum Spazierengehen kaum noch läuft, kam auf meine Laute hin besorgt aus dem Schlafzimmer gehumpelt, sprang neben mir auf die Couch und leckte mir von rechts die Nase und die Tränen ab. Tino rieb sich drehend an meinen Beinen, und, ohne aufzusteigen, probierte er die gleichen Zärtlichkeiten von unten. Leckte meine Waden, leckte meine Hände.
Und ich saß da und weinte. Und weinte und weinte, bis es genug der Tränen waren. Dann habe ich meine Hunde gedrückt und geküßt, das nasse Taschentuch in die Schmutzwäsche geworfen und bin wieder zur Tagesarbeit übergegangen.

Lieben Gruß,
Geli
 
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Liebste Geli!

Lass Dich mal von Herzen drücken!:umarm:

Es wird wieder alles...ganz bestimmt .....

ich sitze gerade hier und mir kullern Tränen über die Wangen, wie gerne wäre ich gestern einfach bei Dir gewesen...einfach nur so...verstehst wie ich meine...?:trost:

Ich drück für Bonnie alles was ich habe, das morgen alles klar geht und die süße endlich wieder Schmerzfrei ist:umarm:
 
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Huhu liebe Geli:umarm:
Ich kann Deine Ängste vollkommen verstehen .
Ich bin gespannt wie es weitergegangen ist :umarm:
 
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Liebe Geli!

Auch ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Was gibts neues in Sachen Pflegehund?

Es würde mich freuen, wieder aktuelle Geschichten zu lesen. :kuss1:

Liebe Grüße
Anita
 
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Hi liebe Leute, :)
hier gibt es mal wieder Neuigkeiten von Tino.

Die Reise nach Berlin
Eine Geschichte


Anfang Oktober hatte sich auf seiner Tierschutzseite im Internet eine Interessentin für meinen Pflegehund gefunden. Nun sollte er endlich ein festes Zuhause haben! Meine Seele jubelte! Der rote Spitzmischlung aus dem südländischen Auffanglager hatte meine Fähigkeit, verstörte Hunde liebevoll zu vertrauensvollerem Verhalten zu erziehen, seit Mai hart gefordert.
In den ersten Monaten nach seiner Ankunft bestand seine Lieblingsbeschäftigung vor allem darin, zu knurren, um sich zu schnappen, Lebensmittel zu klauen die ihm nicht zugedacht waren, sich an den Nägeln zu beißen und meine eigene Labradorhündin nicht mehr ins Haus zu lassen.

Aber als sich der Sommer neigte, hatte sich auf zauberhafte Weise alles verändert: Der Kleine hatte spielen gelernt ( selbst mit der anfangs verhassten Bonniehündin), zeigte mit Stolz sein Wissen in den Grundkommandos, fuhr problemlos auf dem Rücksitz im Auto mit, ohne auf den Vordersitz umsteigen zu wollen, zerrte nicht an der Leine, jagte nicht, sein Wesen im flusig-weichen Haarkleid war nun zärtlich, anhänglich und verschmust. Aus dem bissigen Angstbündel war ein lachendes Traumhündchen geworden.

Sein einziges noch störendes Verhalten war, dass er der sanften Bonnie nach wie vor das Fressen klaute. Ich musste sie im Garten füttern und zwei Türen hinter ihr schließen, damit auch sie genügend Futter bekam. Und weil Bonnie langsam und genüßlich frisst und nicht schlingt, wie viele Hunde, braucht sie dafür Zeit.
Tino störte das Weggesperrtsein nur am Rande. ZWEI Türen waren viel für ihn, EINE kann er rasch öffnen. Aber wenn ich nicht scharf aufpasste, hatte er in dieser Situation flugs das Arbeitszimmerfenster aufgemacht, war hinaus gehüpft, und vertrieb sie doch wieder von ihrem Napf.
Dies führte binnen Kurzem dazu, dass das rothaarige Spitzchen immer korpulenter, und die weißblonde Labbihündin, die für ihre Rasse ohnehin feingliedrig war, immer schlanker wurde.

Beide schienen sich auch ein Spiel daraus zu machen, und zwar eines, was auf meine Kosten ging: Die verwöhnte Bonnie pickte sich die besten Stücke aus dem Hundefutter, das schiere Fleisch, was ich dem hochwertigen Dosenfutter untermischte, den rohen grünen Pansen, und überließ die zermanschte Dosengrütze dem nachstürzenden Tino, um sich dann bei mir auszuweinen, sie sei noch nicht satt. Mitunter entstanden dann Situationen, in denen ich ihr schnöde Trockenfutter hinstellte, weil ich sie nicht durch weitere "Leckergaben" zur Fortführung ihres Verhaltens veranlassen wollte.
Bonnie fraß dann widerwillig etwas davon, vertrug es auch - aber ach! - Tino wurde von den Trofuresten krank!
Erst roch er aus dem Hals, hatte sich offenbar den Magen verdorben, war schlapp und appetitlos, es folgte Durchfall. Und wenn er ( aus Futterneid, denn eigentlich mochte er es auch nicht) gleich eine ganze Handvoll davon verschlungen hatte, bekam er ein nässendes Ekzem am hinteren Rücken. Es ist eine Reaktion auf die darin enthaltenen künstlichen Antioxidantien, die sich hinter dem Begriff "EG-Zusatzstoffe" verbergen. Ich kenne dieses schlimme reagieren von einer früheren Hündin.
So stellte ich die Fütterung handelsüblichen Trockenfutters völlig ein.

Aber ich fand es anstrengend, ständig auf Bonnie's Futter aufpassen zu müssen!
Inzwischen der Herbst hereingebrochen, und zwei Hunde, die sich ständig - zur einen Hälfte von mir ungewollt - im Garten mit Fressen beschäftigen, schleppen doppelt soviel Schmutz herein, als einer allein. - Und bin ich denn nur dazu da, hinter ihnen herzuwischen? Die gleiche Zeit könnte ich sinnvoller in meine Arbeit stecken!
Von daher war ich froh, wenn Tino jetzt ging. Bonnie sollte endlich wieder drinnen fressen können und mir das ständige Nachwischen der Schmutztapsen auf dem hellen Laminat ersparen.
Ja, Tino sollte jetzt gehen! Und gut würde er es haben! Als Einzelhund würde der Kleine keinen Futterneid mehr kennen. Er, der Vernachlässigte, der zwei von den vier Jahren seines Lebens, eingesperrt mit viel zu vielen anderen Hunden in einem engen, dachlosen Zwinger einer Auffangstation verbracht hatte, einem Zwinger, in dem sie sich im Kampf um Ressourcen und Futter gegenseitig totbissen, diesem Kampf, der sein Gesicht mit tiefen Narben kennzeichnete - er würde endlich die Liebe bekommen, nach der er sich schon immer gesehnt hatte.
Von seiner inneren Entwicklung war er soweit. Der nun süße, lachende Hund konnte jetzt an einen normalen Menschen abgegeben werden.
Mich besorgte zwar, dass die Dame, die ihn erhalten sollte bereits die 80 überschritten hatte, aber die Vorkontrolle vom Tierschutz war dort gewesen, erklärte, die liebe Omi sei topfit, hätte bis letzte Woche selber einen Howawart besessen, mit dem sie dreimal täglich spazieren ging, und im Krankheitsfall stünde die weitläufige Verwandtschaft für Tino zur Verfügung, die um die Ecke wohnte. Der Kleine käme in eine vornehme Berliner Villa mit großem, eingezäunten Garten, und sei überdies bereits von Frau Weikertschlag gekauft und bezahlt worden.

Fortsetzung gleich
 
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Weil ich selber keine 500 Kilometer am Stück Autofahren kann- dazu kann ich zu schlecht gucken- schaute ich über's Internet nach einer Mitfahrgelegenheit, und fand eine bei zwei jungen Frauen, die praktischer Weise drei Tage später auch wieder zurückfuhren.
Diese Zeit wollte ich nutzen, Frau Weikertschlag etwas in Tinos's Psyche einzuweisen.
Sie selbst hatte über ihre Enkelin Meike, die den ganzen Organistionskram für die Omi übernommen hatte, ausrichten lassen, dass ich während dieser Zeit in einem leerstehende Appartement in ihrem Haus wohnen könnte.

Die Mitfahrgelegenheit ging am 23.10. erst ab zwei vom Ruhrgebiet. Ohne Stau wären wir pünktlich um sieben da gewesen, aber so neigte sich der Zeiger bedenklich Richtung 20 Uhr, als mich Regina (die Tierschutzfrau, die die Vermittlung der Mittelmeerhunde macht), in Charlottenburg einsammelte und zum Haus der alten Frau Weikertschlag fuhr, denn sie wollte bei der Tino-Übergabe dabei sein.
Es war eine stille Villengegend im äußersten Norden der Stadt, wo wir gegen halb neun anhielten.
Tino hatte sich während der Fahrt vortrefflich benommen, man sah und hörte ihn nicht, aber jetzt zog er an der Leine, suchte sichtbar eine Tür, irgendwo hineinzugehen; wie ich hatte er seit dem späten Frühstück nichts mehr gegessen und er hatte Hunger.
" Hoffentlich hat die alte Frau dem Tino eine anständige Büchse Hundefutter gekauft," sagte ich zu Regina, während sie meine Habseligkeiten auslud. " Ich habe vorgestern noch extra mit ihrer Enkelin, Meike, telefoniert, ihr gesagt, dass Tino kein Trockenfutter verträgt und sie dringend gebeten, das der Oma auszurichten."
"Mensch, wer kauft sich denn 'nen Hund und stellt ihm nichts zu fressen hin?" grinste Regina. "Aber auf die Kleine ist Verlass, sicher hat sie das ausgerichtet. - Und hier sind wir schon!"

Unser Empfang verlief recht ungemütlich. Wie sich bald herausstellte, lag es daran, dass die alte Frau gewöhnt war, um neun ins Bett zu gehen und früh um fünfe aufzustehen - wir kamen ihr also schlichtweg zu spät.
Meike's Mutter, Frau Kraft, (die aus der Nachbarschaft herbeigeeilt war ) öffnete uns die Tür und geleitete uns in eine Küche.
Dort stand die große, alte Frau Weikertschlag mit bitterbösem Gesicht und einer Art unbeugsamer Haltung, als habe sie ein Bügelbrett verschluckt. Sie reichte uns kurz die kalte Hand und widmete sich dann gleich streichelnd dem Tino. Der war begeistert! Von seiner besten, possierlichsten Seite zeigte er sich! Umschwänzelte liebevoll die Beine der alten Frau, packte dann ein mitgebrachtes Stofftier beim Schlaffittchen, schüttelte es und jagte es mit so drolligen Sprüngen durch die Küche, dass wir alle herzlich lachen mussten. Das Eis war gebrochen.

Als Willkommensgruß erhielten wir von der Oma je ein halbes Glas Kranwasser. Auch Tino bekam Wasser, was er begeistert schlappte.
"Hunger hat er auch!" sagte ich lachend. "Frau Weikertschlag, haben sie etwas für ihn?"
Sie öffnete die hohe Schranktür neben mir und was holte sie heraus?- Natürlich eine offene Schale mit Trockenfutter!
Ich reagierte entschlossen, klärte sie auf. "Tino kann es nicht vertragen!"
"Dies ist von Stiftung Warentest mit Sehr Gut bezeichnet," entgegnete die alte Dame fest. "Meine Bandy hat es immer gefressen, und nicht davon ist sie krank geworden, sondern von zuviel Protein. Sie hat's im Rücken gekriegt, eine HD, da dürfen die nicht viel Fleisch und Eiweiß haben, sondern Trockenfutter und viel Obst und Gemüse."
Ich überzeugte sie, Tino nicht das Trofu zu geben, und wie sich bald zeigte, hatte Meike auch Dosen für Tino gekauft.
Die wollte Oma Weikertschlag aber auch nicht füttern, die erschienen ihr irgendwie zu fremd.
Sie entschied sich für eine Scheibe Leberkäse aus dem Kühlschrank, fütterte den Tino mit der Hand- und das war's dann.

Frau Kraft machte nun deutlich, dass die Oma ins Bett gehen wollte, und weil Tino sie noch nicht kannte, sollte er die erste Nacht bei mir schlafen. Das war die perfekte Überleitung, um mir mein Appartement im Souterrain zu zeigen. Regina verabschiedete sich, Tino und ich folgten Frau Kraft mit Sack und Pack nach unten.

Die Räume waren sehr gemütlich.
Die Zugangstür mit der hübschen, abwärtsführenden Holztreppe dahinter, lag direkt neben Oma Weikertschlags Schlafzimmer, und nach der Treppe stand links als erstes mein ausgeklapptes Schrankbett. Aber nach dem kleinen Schlafraum folgte noch ein Flur, von dem es rechts zu einem Duschbad abging,und geradeaus lag ein geräumiger Wohnraum mit Koch-und Essbereich, der zum Garten hinausging. Eine Terrassentür gab es auch, Sofa, Fernseher, hübsche Schränke, kurz, es war für alle Bequemlichkeit gesorgt!
Frau Kraft verabschiedete sich, die Tür oberhalb der Treppe schloss sich, Tino und ich blieben allein.

Ich packte meine Sachen aus, Tino jankte vor der Terrassentür. Obwohl zahlreiche Schlüssel dabeilagen, ließ sie sich nicht öffnen.
Ich sprang wieder nach oben. "Frau Weikertschlag?" Niemand kam zunächst. Ich stand müde und von allem Geschehen aufgeregt im Flur- und ich hatte Hunger. Wie ein Geist schwebte die große alte Frau im Nachthemd von irgendwo zu mir hin. Ich schilderte mein Schlüsselproblem. Völlig klar im Kopf nahm sie den richtigen vom Schlüsselbrett. "Den können Sie die nächsten Tage behalten. Sie können unten rein und rausgehen. Aber verlieren Sie ihn nicht. Gute Nacht."

Ich griff mein ausgetrunkenes Wasserglas aus der nun dunklen Küche und ging nach unten.
Aus irgendeinem Grunde hatte ich eine Flasche Rotwein eingepackt, sie sollte mich diese Nacht retten, aber das wusste ich noch nicht.
Jedenfalls hatte ich jetzt schon mal das Glas dazu.
Ich öffnete also meinen Rotwein und schenkte mir ein. Alle Schränke in meiner Wohnung waren - bis auf etwas Geschirr- leer. Dafür gab es einen Toaster und eine Mikrowelle. Es war wie eine Wohnung, die an Touristen vermietet wird. Es gab nichts zu Essen, es gab keine Bücher, das Fernsehen ging nicht. Und Kohldampf hatte ich! Ich fütterte den hungrigen Tino mit drei mageren Stangen getrockneten Pansens, den ich mitgebracht hatte, dann war die Packung leer.
Langsam wurde mir klar, ich saß Abends um 10 im tiefen Norden Berlins in einer stillen Villengegend, in der es garantiert keine kleinen Kneipen und Kioske gab, in denen ich irgendwie noch etwas zu Essen für mich hätte kriegen können. In der Etage über mir war vermutlich ein Kühlschrank mit Speisen darin, an die ich aber nicht drangehen durfte, ohne als Diebin zu gelten.
- Na, und dann ging auch noch die Heizung aus.

Fortsetzung folgt
 
AW: Neuer Pflegehund

Fortsetzung

Zunächst untersuchte ich den Wohnraum auf einen Heizkörper, den ich größer drehen könnte. Vergeblich. Dieses Wohnzimmer hatte keinen. Dieser Raum war ungeheizt. Die vorherige Wärme empfing er über den Flur aus dem Schlafzimmer, dort gab es sogar zwei Heizkörper! Ich drehte sie bis zum Anschlag auf. Nichts passierte. Sie blieben kalt.
Und dann begriff ich es: Die alte Frau Weikertschlag hatte vermutlich so einen Wärmefühler mit Zeitschaltuhr. Und weil sie um neun ins Bett ging, schaltete sich die Heizung zu dem Zeitpunkt aus, und vermutlich früh um fünf wieder an.
Ja, halleluja!
Ich zog einen zweiten Pullover über den ersten und eine zweite, weite Hose über die Jeans. Es reichte nicht. Gottseidank fand ich noch eine Fleecedecke in die ich mich einwickelte. Frierend und hungrig wollte ich etwas in meinen Block schreiben - ich konnte es nicht.
Ich saß nur da, wie paralysiert, entspannte mich nur langsam, langsam und trank meinen Rotwein.

Um 12, glaube ich, habe ich den Versuch unternommen zu duschen, um mich unter dem heißen Wasser aufzuwärmen.
Das war eine Dusche, die war vorne halbrund zu schließen und sehr schön in marmoriertem Steinzeug gearbeitet.
Ich sah schon, dass es da ganz verschiedene Brauseköpfe gab. Einen natürlich oben, mit zig Verstellmöglichkeiten, aber auch noch rechts und links an den Seiten welche. Na, bevor ich einstieg, sollte die Dusche erst mal warm laufen!
Ich griff also herein, betätigte den Anmachhebel hinten, da begannen die oberen Seitenduschköpfe zu sprühen, und zwar direkt auf meinen hereingreifenden Arm - und zack- waren zwei Pulloverärmel nass. Ich zog die Pullover aus, versuchte mit nacktem Arm die Dusche so zu regulieren, dass das Wasser doch bitte von oben käme? - Nix, die Dusche dachte nicht daran, sich regulieren zu lassen. Was auch immer ich tat, wo ich auch drückte und schob, es sprühten immer nur die oberen Seitwärtsdüsen. Und die sprühten schräg nach vorne und von daher, durch die geöffnete Tür, auf mich. Im Nu stand das Badezimmer unter Wasser.
Schließlich gab ich es auf. Ich deponierte meine nassen Anziehsachen auf der kalten Heizung, zog den Schlafanzug an und kroch unter die Bettdecke.
Ich trank das letzte Glas Rotwein. Tino lag, wie daheim, in Kopfhöhe neben meinem Bett und schnarchte. Sein Atmen beruhigte mich, ich streckte eine Hand unter der warmen Bettdecke hervor ins klamme Zimmer und legte sie auf sein warmes, lebendiges Fell.
Dann schlief ich tatsächlich ein.


Um 4 Uhr 49 hörte ich über mir Frau Weikertschlag durch den Flur gehen. Sofort hellwach sprang ich auf - vermutlich verlieh mir der Restalkohol Mut und Flügel - und stürmte nach oben. " Guten Morgen! Tino hat Hunger! "
"Na, Nachts füttere ich aber nicht, " sagte die alte Frau, " was soll er dann erst Mittags kriegen?" Trotzdem ging sie in die Küche, Tino sprang begeistert hinter ihr her.
Ich verschwand kurz auf der Toilette. Als ich wiederkam, übergab Frau Münchhagen mir den Tino am Halsband. " Er hat keinen Hunger!" stellte sie fest. " Ich habe ihm etwas Knäckebrot in den Napf geworfen, dass hat er nicht gefressen. Wenn ein Hund kein Knäckebrot frisst, hat er auch keinen Hunger."

Sprachlos nahm ich ihr den Tino ab, schloss die Flurtür hinter mir und kroch wieder ins Bett. Ich war so wütend! Ich überlegte ernstlich den Hund zu packen und umgehend wieder heimzufahren. Aber was sollte ich um diese frühe Stunde draussen schon ausrichten? Ich wusste ja nicht einmal genau, wo in Berlin ich war! Ausserdem hatte Meike versprochen, dass ihre Omi mir die Fahrtkosten erstatten würde, die hatte ich vorgestreckt, und ohne die 120 Euro von ihr erhalten zu haben, wollte ich nicht weg. Oh, Mannomann!
Im ausgekühlten Raum konnte man im Dämmer fast meine Atemfahne sehen, es war jetzt sechs und die Heizung war immer noch kalt.
Ich schlief bis Viertel nach acht, dann erwachte ich, weil mir der Schweiß auf der Stirn stand. Die beiden Heizkörper bullerten auf Hochtouren, ich regelte sie herunter.

Ungeduscht angezogen, ging ich nach oben. " Hallo, Frau Weikertschlag..." Ich schaute in Küche - leer. Ins Wohnzimmer, ins Schlafzimmer. "Frau Weikertschlag?" Nirgendwo war sie, auch im Garten nicht. Mir knurrte gewaltig der Magen.
Ich bin Teetrinkerin, und weil ich auf meinen Darjeeling zum Frühstück ungern verzichte, hatte ich ein Päckchen davon mitgebracht. Den konnte ich jetzt kochen. Aber vielleicht hatte die alte Frau etwas Milch im Haus? Kurzentschlossen öffnete ich die Kühlschranktür.

" Was suchen sie?" hörte ich ihre kalte Stimme hinter mir. " Sie suche ich!" rief ich, mich umdrehend, "Sie! Und Milch! Und etwas zu Essen!"
Sie stand mir gegenüber in der Wohnzimmertür, von mir nur durch den schmalen Flur getrennt- keine Ahnung, wie sie da hingekommen war. Einzige Möglichkeit: als ich ins Wohnzimmer schaute, musste sie hinter der Tür gestanden haben.
Und dann brachen bei mir die Dämme: " Ich habe Hunger! Ich habe Ihretwegen gestern 8 Stunden insgesamt im Auto gesessen, vor der Abfahrt habe ich zwar ausgiebig gefrühstückt, trotzdem reicht das nicht. Meine letzte Mahlzeit ist fast 24 Stunden her! Und von Ihnen habe ich nichts anderes angeboten bekommen, als ein halbes Glas Kranwasser! Und gleich laufe ich hier heraus aus dem Haus, und gucke, wo ich in einer mir völlig unbekannten Gegend vielleicht irgendwo etwas zu Essen herbekomme! "
" Ja, soll ich Sie denn hier verköstigen?" fragte die Oma. "Ich hab' gedacht, Sie schlafen hier, und gut ist."
" Na, wenn ich Abends um halb neun hier ankomme, kann ich mir doch kein Essen herbeizaubern?"
" Den Weg rauf ist ein Bäcker," meinte sie, nach draussen rechts weisend. "Da können Sie sich Schrippen holen. - Ich weiß sowieso nicht, wozu Sie da sind. Ich hab' mir 'nen Hund gekauft, und da kommt gleich ne Frau mit! " fuhr sie ärgerlich fort.
" Damit Ihre Leute nícht 1000 Kilometer mit dem Auto fahren müssen, " sagte ich.
" Und warum bleiben Sie dann so lange?"
"Erstmal habe ich keine andere Mitfahrgelegenheit gekriegt. Ich habe das noch nie gemacht, und ich wollte mit einer Frau fahren.
Das verstand die Oma. " Na, und dann kann ich Ihnen ja vielleicht auch noch das eine oder andere über Tino erzählen und ihnen Verhaltensweisen zeigen, wie man am besten mit ihm umgeht. "
" Also, das brauchen Sie nicht, " lehnte sie rigoros ab. " Ich habe mein Leben lang Hunde gehabt, da werde ich mit dem wohl auch noch klarkommen. Kommen Sie, wir gehen gemeinsam Schrippen kaufen, dabei kann ich gleich mal ausprobieren, wie er so an der Leine geht!"
Eines war klar: nachtragend war die Oma nicht. " Und nach dem Frühstück können Sie mich ruhig mit Tino alleine lassen! - Wir kommen schon klar, nicht wahr, mein Hundchen? Ach, aber um halb fünf müssen Sie wieder da sein, da kommt Meike, die möchte Sie doch so gerne kennenlernen. "

Es war ein gemütlicher Gang. Frau Weikertschlag erzählte mir viel von Bandy, die wie Bonnie, auch an der Straße, immer völlig frei lief
und auf Handzeichen die Fahrbahn überquerte. Ich begann Respekt vor den Hunde-Fähigkeiten der alten Frau zu entwickeln.
SIE kaufte mir dann 4 Schrippen ( Brötchen) und zu Hause erhielt ich Margarine , etwas Tilsiter und drei Scheiben Salami dazu.
Meinen Tee kochte ich mir selber, bekam aber auch noch Milch und Zucker.
Tino wurde von ihr mit Brötchenstücken gefüttert, auf die sie etwas Tilsiter legte, er fraß sie alle auf.
"Mittags koche ich Hühnerfleisch und Reis für das Schätzchen, und etwas Rosenkohl bekommt er auch!"
"Prima," sagte ich lachend , "nur geben Sie ihm wirklich kein Trockenfutter."
Und dann verabschiedete ich mich zu meiner ersten Berlintour.

Es dauerte recht lange, bis Berlin mich ablenkte, denn innerlich war ich unglücklich. Es bedrückte mich, dass die alte Frau sich einen Hund aus dem Tierschutz kaufte, als sei er ein Ding, wie meinetwegen eine Packung Seifenpulver. Frei nach dem Motto: den hab ich jetzt gekauft, jetzt isser meiner, und dann wird der schon so funktionieren wie ich denke.
So ging das sicher nicht, dachte ich. - Und ich hätte ihr soviel Hilfestellung geben können!
Egal, ich lenkte mich ab.

Die Straße "Unter den Linden" hatte ich zum letzten Mal gesehen, als sie noch zum Staatsgebiet der DDR gehörte, sie und den Alexanderplatz kannte ich kaum mehr wieder. Wunderbare Architektur war überall im Regierungsviertel aufgeschossen, die Touristen strömten um das Brandenburger Tor, ich suchte Erholung in den malerischen Gässchen um den Savignyplatz. Hier gab es viele Kunsthandwerkerläden mit den entzückensten Eigenkreationen, sei es aus Ton, aus Stoff, aus Filz, aus Leder oder Wolle. Es gab schräge Antiquitätenläden und Bücherantiquariate und Remitentenläden, die ich nur ungern verließ, zu sehr sprachen mich die unterschiedlichen Wühltische und Regale an.
Bei Kaiser's kaufte ich Lebensmittel für mich ein. Frisches Schwarzbrot, etwas Aufschnitt, einen kleinen Schmierkäse, der mir gleichzeitig als Butterersatz dienen würde, Milch für den Tee und ein Schälchen Heringssalat. Als ich schon draußen war, kehrte ich wieder um und holte noch einen Rotwein, wer weiß, dachte ich, wozu ich den brauchen würde.
Ach, und für Tino kaufte ich in einer Tierhandlung noch getrocknete Rinderhautstücke als Leckerli, damit die Oma sah, was er statt Trofu und künstlichen Leckerlis an natürlicher Kost verspeisen konnte.

Fortsetzung gleich
 
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Im Hause Weikertschlag wurde ich um halb fünf sehr herzlich und warm empfangen, sowohl von der Oma, als auch von der gesamten Familie. Alle waren sie zugegen! Sowohl Sohn und Tochter der Oma mit ihren Angehörigen, also, die Kraft's und die Hugendübel's, die süße Meike war dabei, ihre Cousins zum Teil mit Partnerinnen, sogar ein kleiner Urenkel tollte durch die Wohnung. Es gab Kaffee und Kuchen im Überangebot. Meine Güte, wie hatte sich dieses anfänglich prüde Quartier doch zu seinem Vorteil verändert!
Tino war der absolute Mittelpunkt des Geschehens, glücklich hockte er auf der Couch und wurde von allen Seiten gekost und gestreichelt. Und wenn er sich genug gestreichelt fühlte, hüpfte er unter dem freudigen Gelächter der Anwesenden mit seinem Spielzeug durch die Gegend.
Die Spaziergänge mit dem Kleinen waren gut gelaufen, gerne hatte er Omi's Gekochtes angenommen, er hatte mich keine Sekunde vermisst. Nebenbei erfuhr ich, dass dreimal in der Woche ein 14jähriger Junge käme, um mit Tino lange Spaziergänge zu unternehmen, die die Oma nicht mehr leisten könne.
Die Unterhaltung war intelligent, die alte Frau Weikertschlag brillierte mit klaren Aussagen und politiischem Wissen um die Welt, dass ich mir staunend die Augen rieb.

Ich fand es nur traumhaft! Alle meine Furcht und mein Unwohlsein waren wie weggeblasen. Ich hätte sofort nach Hause fahren können! Und das sagte ich auch.

Bereitwillig wurde mir das Telefon überlassen, um über Regina eine frühere Mitfahrgelegenheit zu finden.
Regina schaute in den Computer, aber es ergab sich keine frühere Möglichkeit. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um 11 zu gemeinsamen Aktivitäten. Ich brachte das Telefon zurück und ließ die Familie allein. Was sollte ich dabei sitzen?
Ich machte noch einen kleinen Ausflug in den Nachbarvorort, ging etwas Läden anschauen, kaufte mir ein Buch.
Gegen halb neun verzog mich wieder in meinen Keller um mir einen Tee zu kochen und meinen Heringssalat zum Abendbrot zu essen. Dabei grauste mir innerlich wieder vor der nächtlichen Kälte.

Wir waren übereingekommen, dass Tino diese Nacht oben schlafen sollte. Oma Weikertschlag hatte ein schönes Liegekissen für den kleinen Hund neben ihr Bett gelegt ( "Darauf hat er heute Nachmittag schon geschlafen!" erklärte sie stolz), und ein weiteres zwischen Eingangstür, Wohnzimmertür und Küchentür in den Flur.
Die Placierung dieses Kissens gefiel mir nicht. " Ich würde das da nicht hinlegen," sagte ich. "Es kann durchaus passieren, wenn Tino diesen Platz neben den Türen annimmt, dass er sich anstellt, Leute hereinzulassen. Das Kissen liegt besser an einem stilleren Ort, nicht in so einer Vorteilsposition."
" Ach, durch die Haustür kommen ja ohnehin keine Leute, die mich kennen. Die kommen alle durch die Küchentür zum Garten! Und die mich nicht kennen, die kann er ruhig verbellen!"
" Na, ich weiß nicht. ICH würde es aus dem Flur wegnehmen."
Es blieb dort liegen.


Die Kälte kam pünktlich um neun.
Gegen 11 startete ich einen weiteren Duschversuch. Ich hatte begriffen, dass ein Knopf hereingedrückt gehörte, dann kam das Wasser von oben. Der ließ sich aber nicht hereindrücken, sondern sprang immer wieder heraus. Ich versuchte ihn mit mitgebrachtem Heftpflaster zu fixieren, hatte aber keinen Erfolg, der herausdrängende Knopf war stärker. Also akzeptierte ich jetzt das Geduschtwerden von den Seiten, etwa in Brusthöhe. Ich legte meinen Schlafanzug vor die Dusche auf den Boden, stieg ein, schloss mit etwas Mühe die halbrunden Schiebetüren. Ahhh! So herrlich, dieses warme Wasser! Wenn nicht... ja wenn nicht... Was war denn das?
Ich hatte die Türen geschlossen, ja. Die Alurahmen waren zu, sie berührten einander. Aber das ziseliserte Plastik, was in den Alurahmen halbrund verspannt war, war von dem handwerklichen Duschenbauer offenbar zu schmal geschnitten worden, und der Schwer- oder Schubkraft folgend, hatte es sich hinten gut in die Nut des Alurahmens geschoben, während vorne auf beiden Seiten ein ca 2 cm breiter Spalt zwischen Metallrahmen und Plastik bleckte. Die Brauseköpfe auf beiden Seiten sprühten, der rechte schoss einen Teil seines Wassers durch den linken Spalt hinaus, der linke durch den rechten, im Nu stand das Badezimmer wieder unter Wasser.
Als erstes war mein Schlafanzug durchnässt. Ich wrang ihn aus und legte ihn auf die kalte Heizung, bevor ich schlafen ging.
Der Kälte angemessen schlief ich in Wollpullover und langer Baumwollunterhose.

Tino benahm sich die Nacht über vortrefflich. Ich hörte ihn zweimal oben an meiner Flurtür kraspeln, aber erst beim zweiten Mal, etwa gegen vier Uhr morgens ging ich hin. Das erste Mal hatte ich gerade noch durchstehen können, aber jetzt schmerzte meine Seele heftig.
Kleiner Hund saß oben verzweifelt im Korridor und wollte zu mir!
Ich kroch im Düstern die Holztreppe hoch, öffnete die Flurtür und sagte dem mir zugewandten Tinogesicht, meinen Drang nach Zärtlichkeit niederkämpfend: " Lauf' wieder zur Omi!" - Da hüpfte er sofort davon, sein heller, nach oben gerichteter Wedelschwanz verschwand im Dunkeln.

Ich schlief gut in dem halbwegs sicheren Gefühl, dass alles in Ordnung sei. Wäre Tino sonst so bereitwillig davongehüpft?
Gegen halb neun war ich angezogen und ging nach oben, um mir Zucker für meinen Frühstückstee zu holen.

Und dann geschah etwas Seltsames. Frau Weikertschlag schien schon auf mich gewartet zu haben. " Schauen Sie sich den Hund an! " klagte sie. Tino kam nicht, mich zu begrüßen. Er lag auf dem Kissen im Flur, er lag da eng angekuschelt, und seine Gestik und Mimik drückte so etwas aus wie: " Ich bin doch ein gaaanz braver Hund! Tut mir nix! Dich, Mama-Geli liebe ich..." Er leckte mir die Hände, die Nase, ohne sich jedoch zu erheben - und er stank erbärmlich aus dem Hals.
"Was ist denn hier passiert?" fragte ich fassungslos. " Keine Ahnung! - Und gefressen hat er auch nicht! Dabei habe ich ihm doch das Hundefutter von Meike gegeben."
Oma Weikertschlag zeigte mir tiefbetrübt einen unberührten Napf besten Dosenfutters.
" Kann es vielleicht die Trennung sein?" fragte sie, " dass er spürt, dass er jetzt von Ihnen wegsoll? "
" Ist möglich," räumte ich ein, " aber warten Sie, dagegen habe ich Bachblüten!
Ich sprang in den Keller und kam mit der neuen Packung " Trennungsschmerzblüten" zurück.
Davon träufelte ich ihm einiges in seinen Trinknapf, nicht ohne der Omi vorher zu erklären was Bachblüten sind, was homöopathische Mittel sind. Sie verstand alles und nickte mir zustimmend zu. Wenn es ganz schlimm käme, hätte sie ja auch noch einen guten Tierarzt.
Ob ich jetzt mit ihr frühstücken wollte?

" Nee," sagte ich, "das ist sehr lieb, aber ich hab' mir unten schon alles fertiggemacht. Außerdem muss ich bald los, ich bin um 11 mit Regina in Zehlendorf verabredet."
Ich kam kaum zum frühstücken, da rief die Omi schon wieder nach mir. Ich eilte nach oben. Wenn er jetzt nicht fräße, und die nächsten Tage auch nicht, würde Tino dann sterben?
" Nein, natürlich nicht! Entweder er hat wirklich Trennungsschmerz, oder er hat sich den Magen verdorben. So, wie er aus dem Hals stinkt, hat er sich an irgendwas den Magen vertan. In beiden Fällen muss er, müssen wir, jetzt diesen Tag durchstehen. Das kommt schon wieder! "
Wieder ging ich nach unten, wieder rief sie.
Wenn Tino sich den Magen verdorben hätte, sollte sie nicht doch besser mit ihm - heute, Samstag- zum Tierarzt gehen?
"Nein, das brauchen Sie nicht, ich habe auch dagegen ein Mittel. Es heisst Nux Vomica. Wir können ihm das auch in den Trinknapf tun. Möglicherweise wird er diesen Tag nichts fressen wollen, lassen Sie ihn auch. Wenn er irgendwas erwischt hat, was ihm nicht gut tut, muss er das ausscheiden, und dann passt's wieder."

Runtergelaufen, Nuc Vomica geholt, raufgelaufen, in die Küche, Nux Vomica in seinen Trinknapf geworfen. Mein Auge blieb an einem roten, nässenden Krümel auf dem Fußboden hängen. Ich titschte ihn mit dem Finger auf.
" Was ist das? - Haben Sie Tino Trockenfutter gegeben, Frau Weikertschlag?"
" Neiiiin, Trockenfutter nicht. Er wollt's ja nicht fressen, deshalb habe ich es in Wasser eingeweicht. Also, hm, nasses Trockenfutter hat er bekommen."
Ach, Scheiße! Ich schaute zu dem sonst so heiteren Tino, Er lag krank auf seinem Kissen. Diese Trockenfuttersache, sie wäre vermeidbar gewesen. Musste die alte Frau denn so einen Dickkopf haben? Aber wenn es auch Trennungsschmerz war? Mir brach fast das Herz.

Trotzdem griff ich jetzt meine Handtasche, um zu gehen
" Wann kommen Sie wieder?" rief die alte Frau Weikertschlag, " ich fühle mich sicherer, wenn Sie da sind!"
"Ich komme zwischen fünf und sechs," antwortete ich voreilig. " Wenn Sie gestern mit Tino klargekommen sind, schaffen sie das auch heute. Und wenn er hungern will, lassen Sie ihn hungern, das ist bei Magenverstimmung das Beste." Dann küsste ich im Vorbeigehen den aus dem Hals stinkenden Tino und verschwand.

Fortsetzung folgt
 
AW: Neuer Pflegehund

Das End vom Lied

Als ich in der S-Bahn saß, überkamen mich Trauer und Zorn wie ein wildes Tier.
Dass die Frau Tino doch das Trofu gegeben hatte! Na, hoffentlich hatte sie jetzt gelernt. Mei, war ich sauer!
Nach der Ankunft heulte ich mich erst mal bei Regina aus.
Und indem sie mich in den Arm nahm, brach MEIN ganzer Trennungsschmerz durch. Es flossen die Tränen, aber mein Gott, ich wollte für Tino doch nur das Beste! Konnte ich ihn dort allein lassen? Sicher doch, er hatte einen Traumplatz in einer Berliner Villa. Eine Familie um ihn herum, einen Jungen, der mit ihm spazierenging... Aber musste die Sache mit dem Trofu sein? Würde Oma Münchhagen ihn jemals so annehmen können, wie er war, oder würde sie ihm weiterhin ihre Gedanken von gut und richtig überstülpen? -- Ich weinte.
Ich wusste, es ging um's innere Loslassen, auch schon bevor Regina das Thema anschnitt.
Ja, ich würde loslassen! - Feierabend! Sofort würde ich loslassen! Frau Weikertschlag hatte den Kleinen gekauft, sie konnte mit ihm umgehen, jetzt war es an mir, mich innerlich zurückzuziehen.

Das tat ich auch. Regina führte mich aus in Berlin und wir verbrachten einen heiteren Tag.
Dann fuhren wir zu ihr, ich lernte ihre drei Pflegehunde kennen, Kuchen gab es und Tee, und im Nu war es schon halb sieben und bis zu meiner Familie Weikertschlag brauchte ich noch eine Stunde mit der S-Bahn.

Als ich vom Bahnhof die schon nächtlich dunkle Villenstraße hinauf wanderte, stellte ich erfreut fest, dass das Wetter milder geworden war. Beim Ausschreiten wurde mir direkt warm unter der roten Baskenmütze. Trotzdem dachte ich mit Behagen an das von Regina ausgeliehene Heizkissen, welches unten im Spankorb die weiche Grundlage für drei Berliner Buletten und einen halben Schokoladenkuchen bildete. Na, diese Nacht würde ich weder hungern noch frieren!
Munter wie Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter, stapfte ich durch Berge goldenen Ahornlaubes dem Haus der Omi Weikertschlag entgegen.
Ja näher ich kam, desto mehr bedrückten mich die Gedanken um Tino. Ich fühlte wieder, wie weh es mir tat, ihn dort zu lassen. Ich schob den inneren Schmerz beiseite. Ging es ihm körperlich besser inzwischen? Hoffentlich! Und dann spürte ich auch noch mein schlechtes Gewissen, so spät zu kommen. Hatte ich nicht gesagt: um 5 oder 6 bin ich zurück? Jetzt war es kurz vor acht. Trotzdem hatte ich keine Lust, eilig zu klingeln.

Ich wollte das Haus durch den Souterraineingang im Garten betreten, aber wie überrascht war ich, mein Appartement hell erleuchtet zu finden! Das war merkwürdig, denn seitdem ich da war, hatte Frau Weikertschlag - soviel ich mitbekommen hatte - es diskret vermieden überhaupt meine Wohnräume zu betreten, geschweige denn wäre es ihrem sparsamen Geist eingefallen, dort eine Festbeleuchtung zu inszenieren. - Also, was war los? Mein Appartement war - trotz aller Helligkeit - leer.
Ich stellte den Korb in die Ecke, warf Mantel und Mütze über einen Sessel, drehte rasch die Heizkörper auf und eilte nach oben.
Kaum war ich auf der Treppe, hörte ich Tino's Hundegebell. Na, wenigstens lebte er noch!

Er begrüßte mich überschwenglich im Flur, packte mit den Zähnen sein Stofftier und hüpfte in ausgelassenen Bögen vor mir ins Wohnzimmer, wo er das Viech in die Luft warf und mit drolligen Sprüngen über das Parkett jagte. Ich musste lachen.
"Guten Abend!" grüßte ich freundlich in die Runde. Am Esstisch saßen neben Oma Weikertschlag auch Herr und Frau Kraft.
Ich reichte allen die Hand. "Alles in Ordnung?" Frau Kraft deutete lächelnd auf den spielenden Tino. "Ja, jetzt, wenn dein Frauli kommt, ist es wieder gut, nicht?"

Herr Kraft blieb nach der Begrüßung stehen. " Nein, es ist nicht in Ordnung," sagte er.
" Was war denn los?" wandte ich mich erschrocken an die Omi, deren Gesichtsausdruck mir sehr verhalten und bedrückt erschien.
"Er hat mich angeknurrt! " antwortete sie mit ganz kleiner Stimme. " Er hat mich nicht aus dem Wohnzimmer herausgelassen. Vier Stunden habe ich hier gesessen und konnte nicht hinaus! Ich konnte nicht austreten, ich konnte mir nichts zu trinken holen, nichts! Immer wenn ich die Tür aufmachte, saß er da und fletschte mit den Zähnen. - Ich habe solche Angst bekommen! "
"Oh nein!" sagte ich entsetzt - und fühlte mich doch, für den Bruchteil einer Sekunde, im tiefen Inneren aufflackernd, froh. In diesem winzigen Moment, der schneller als ein Augenblick verging, wusste ich genau, was jetzt kommen würde. Und ich wusste, Tino hatte es entschieden, selbst wenn ich mir momentan noch keinen Reim darauf machen konnte.

Mein offenes Bewusstsein war eingenommen von einem tiefen Mitgefühl mit der alten Frau. " Ach, Sie Arme! So eine Schreck hat er Ihnen eingejagt!" "Ja! Ich wollt schon aus dem Fenster klettern! " Du lieber Gott, wie gut, dass Sie es nicht gemacht haben! "
"Das habe ich auch gesagt, als ich kam," warf Herr Kraft ein, der sich inzwischen wieder gesetzt hatte.

" Ich weiß gar nicht, wie das gekommen ist," grübelte Omi Weikertschlag mit verzweifelter Stimme. " Es war doch alles so gut! - Und ich habe es doch nur gut gemeint! - Aber er hat wirklich die Zähne gegen mich gefletscht! Ich konnte hier nicht raus! Schließlich habe ich die Flurtür zugemacht, und gedacht, ich warte, bis er schläft, aber kaum hatte ich sie leise wieder aufgemacht, stand er davor und fletschte wieder die Zähne! Sogar meinen Sohn und meine Schwiegertochter hat er angeknurrt! - Am besten erzähle ich es Ihnen der Reihe nach," sagte sie gefasster; ich nahm an der Stirnseite des Esstisches Platz.

" Nachdem Sie gegangen waren, ist Tino zum Gartentörchen gelaufen , hat sich davorgelegt, und wollte da nicht mehr weggehen. Er muss wohl sehr an Ihnen hängen. 'Komm rein', hab ich gesagt,' ist doch zu kalt für dich! '- Aber er wollte nicht kommen." Die alte Frau schüttelte bestürzt den Kopf. " Dann kamen mein Sohn und meine Schwiegertochter kurz zu Besuch, das muss gegen eins gewesen sein, da kam er rein. Aber fressen wollte er nichts. Stellen Sie sich vor, er hat nichts gefressen!" empörte sie sich. "Dabei hatte ich so schön für ihn gekocht." Erneutes Kopfschütteln.
"Dann gingen die beiden wieder, da habe ich ihm eines von Ihren Leckerchen gegeben, dieses große, aus Rinderhaut, das hat er auch nicht gefressen! Das hat er erst gefressen, als mein Sohn und meine Schwiegertochter um halb sieben das zweite Mal kamen, aber vorher hat er sie auch noch angeknurrt! Und zwischenzeitlich hatte ich hier das Theater mit ihm. - Ich verstehe es nicht."
Ich verstand es tatsächlich auch noch nicht. Ich schüttelte ebenfalls den Kopf.
" Na, und als er uns angeknurrt hatte, habe ich unten bei ihnen das Licht für ihn angemacht, weil ich dachte, er muss so an Ihnen hängen, dass er hinunter will," warf Frau Kraft ein. " Aber das wollte er gar nicht."
"Jedenfalls hat meine Mutter fürchterliche Angst vor Tino bekommen, " erklärte Herr Kraft tapfer " von daher kann er hier nicht bleiben.
Sie müssen ihn wieder mitnehmen."
Genau diesen Satz hatte ich geahnt, wieder blitzte der Funken Freude in mir auf, wenn ich ihn auch noch nicht verstand, denn ich wollte und ich will Tino ja nicht behalten.
Frau Kraft schloss sich den Worten ihres Mannes unmittelbar an: "Wenn er bliebe, könnte die Oma ihn nur noch ins Tierheim geben, denn...."

"Selbstverständlích!" unterbrach ich sie, ihrem Mann antwortend. " Ich rufe sofort Regina an, dass der Hund nicht hierbleiben kann, sie soll Ihnen auf der Stelle das Geld zurückgeben."
Und das tat ich auch. Im Ton der Organisations-Geli, die Ruck-Zuck das Nötige veranlasst. Regina verstand auch sofort, räumte auf der Stelle ein, das Geld zurückzugeben - so war die Kuh vom Eis, oder besser: der Tino von der Seele der Leute.

Die Atmosphäre, die offenbar weitgehend in der Angst der Familie, wir könnten Tino nicht zurücknehmen, bedrückend gewesen war, entspannte sich schlagartig zu Verständnis und Wohlbefinden. Man hatte uns nicht mit Argumenten drücken müssen, man hatte uns nicht drohen müssen, Regina und ich waren keine Schweine.
Nach einigem, nun heiterem Wortgeplänkel ging Herr Kraft soweit, zu fragen, ob Regina nicht vielleicht einen älteren Hund für die Omi hätte? Tino sei mit vier Jahren ja doch noch recht jung? Dann bräuchte man das Geld ja auch gar nicht zurückzukriegen? Ob ich so lieb sei, das der Regina auszurichten?
"Ja, klar," bestätigte ich. Dann verabschiedeten sich die beiden Familienmitglieder.

Ich sagte der Omi, ich wolle jetzt Abendessen und verzog mich in den Keller. Stattdessen setzte ich mich erschöpft hin, und trank Rotwein aus der zweiten Flasche. Tino war einigermaßen verwirrt, jetzt mit mir hinunterkommen zu sollen. Aus seinem Benehmen schloss ich, dass er lieber oben bei der Omi geblieben wäre, jedenfalls stand er am Fuß der Treppe und jankte.
Aber das ging nun nicht mehr, und ich brauchte erstmal Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen.
 
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AW: Neuer Pflegehund

Doch als ich nur einen Hauch innere Einkehr spürte, ging das Begreifen ganz schnell, es vollzog sich innerhalb einer Sekunde:
Die Omi hatte Tino Trofu gegeben, was er nicht vertrug. Vielleicht war es auch noch das Selbstgekochte? Eine Futterumstellung ist ja häufig mit Magenverstimmung und Durchfall verbunden. Folglich fraß er nichts. Dann gab sie ihm ein Leckerchen- dieses Stück getrocknete Rinderhaut - das fraß er, wegen Magenverstimmung, auch nicht. Stattdessen legte er sich damit - Spitzbewachend- auf das ihm zugewiesene Kissen neben der Wohnzimmertür im Flur, also auf einen idealen Übersichtsplatz.
Als nun die ( zwar gemochte, aber noch nicht gewöhnte) Omi aus dem Wohnzimmer kommen wollte, empfand Tino, sie wolle ihm das Leckerchen klauen und möglicherweise selber fressen. Also hat er ihr in Verteidigung des Leckerchens den Zugang zum Flur nachdrücklich verwehrt. Schließlich kommt er aus einem südländischem Hundeauffanglager, in dem erbeutete Ressourcen jeder Art massiv verteidigt werden mussten, wie die Narben auf seiner Nase zeigen.
Als dann Sohn und Schwiegertochter Abends zu Besuch kamen, versuchte er zunächst seine Verteidigung des Leckerlis auch diesen gegenüber aufrecht zu erhalten, er knurrte sie an. Weil aber die Menschen zahlenmäßig in der Übermacht waren, fraß er es nun schnell auf. - Danach war für IHN die Welt wieder in Ordnung. Nicht aber für die Menschen, die sein Knurren persönlich gegen sie gerichtet empfunden hatten.

Umkehrschluß, Konjunktiv: Hätte die Omi Tino das gewohnte Futter gegeben, hätte sie das Trofu vermieden - wäre er nicht erkrankt und hätte die Rinderhaut sofort gefressen.
Hätte sie das Kissen nicht in den Flur - Vorteilsposition- , sondern in eine stille Ecke des Wohnzimmers gelegt, hätte es dieses Verteidigen in einer Laufgegend nicht gegeben. Sie hätte dann zwar mitgekriegt, dass er knurrte wenn sie sich näherte, sie hätte es aber besser auf das noch nicht gefressene Leckerchen beziehen können. - Vielleicht jedenfalls, wenn sie soviel Einfühlungsvermögen besessen hätte.

Das erkläre ich ihr! dachte ich. Es ist nur das! Ich fand Frau Weikertschlag traurig im Wohnzimmer. Ich setzte mich.
Ich erzählte ihr meine Überlegungen und machte ihr auch vor, was geschah, wenn ich Tino ein neues Spielzeug gab und mich ihm dann rasch näherte, so dass für ihn der Eindruck entstand, ich wolle es ihm wegnehmen. Dann knurrte er.
" Dieses direkt auf ihn Zugehen wenn er etwas hat/besitzt, oder gar danach zu greifen, das kann er noch nicht." sagte ich. " Da ist es besser, man geht um ihn herum und schaut weg. Hunde mögen es ohnehin nicht, von Fremden direkt angeschaut zu werden. Mit Geduld und Spucke kann man ihm das Verhalten aber abtrainieren. Zu Hause spielt er mir schon selber Spielzeuge zu, und ich bin überzeugt, bald wäre das mit Ihnen genauso. - Warum sind Sie eigentlich nicht um ihn herumgegangen, als er sie von vorne anknurrte?"

" Hunden," sagte die gute Frau Weikertschlag, "soll man nie von hinten kommen, das ist das Erste was ich gelernt habe. Immer nur von vorn."
Ich verkniff mir zu sagen: 'Sonst schlagen sie, wie Pferde, vermutlich nach hinten aus.' Ich nahm sie kommentarlos einfach tröstend in den Arm. Tino sprang an ihr hoch bis zur Hüfte und rammelte an ihrem Bein. " Was ist das jetzt?" fragte sie irritiert. "Er mag Sie," antwortete ich, " es ist seine Art, Liebe auszudrücken. Tino ist kastriert, aber Spitze neigen dazu, die Leute zu rammeln, die sie mögen. Es ist eine verdammte Spitzunsitte, aber so tun sie es eben."
" Und ich dachte, das sei jetzt Eifersucht."
"Nein. Und nun eine gute Nacht."
Tino ging nur ungern mit nach unten. Tatsächlich musste ich alle meine Phantasie aufbieten, ihn von Frau Weikertschlag wegzulocken. Erst schlenkerte ich seine Leine, da kam er, rannte dann aber doch wieder zurück, dann holte ich ein Stück trockenes Brötchen aus der Küche und tat so, als habe ich ein Leckerli. Damit ließ er sich bis auf die Stufen in den Keller locken. Tür zu! Unten tauschte ich es rasch gegen einen Streifen getrockneter Rinderhaut, schließlich wollen wir unsere Hunde ja nicht verarschen.

Von Tino aus wäre es wunderbar gegangen mit der Omi - aber er war nicht verstanden worden.
Und sie hatte nicht mehr die Fähigkeit umzudenken. Die nächsten Katastropen waren programmiert. Kein Erklären der Welt würde hier Abhilfe schaffen.
Die Omi erschien mir wie die Dusche in meinem Kellerrefugium: Oberflächlich betrachtet wunderbar gearbeitet, funktionierte sie doch nur, indem sie Überschwemmungen produzierte.
Verängstigte, neurotische Hunde aus dem Tierschutz, brauchen eine kreative, Neues erfindende, ablenkende Hand, die wenig der überschwappenden Ängste und aggressiven Verhaltensweisen persönlich nimmt, und nicht einen Geist, der sagt: Das habe ich mit meinen Hunden schon immer so gemacht.
Nun musste sich Tino eben wieder umgewöhnen.

Am nächsten Tag war Frau Weikertschlag extrem lieb zu mir. Lud mich ständig zu irgendwelchen Speisen ein, und wenn ich Frühstück, Mittagessen und Abendbrot ablehnte, musste ich zumindest mit ihr zwischendurch Kaffeetrinken und Kuchenessen.
Es war von ihr noch ein Versuch, sich auf den kleinen Tierschutzhund einzustellen, aber er brach sich stündlich an ihrem festverankerten "Wissen".
Zum Abschied nahm sie mich in den Arm und lud mich ein, immer wenn ich in Berlin sei, wieder bei ihr zu wohnen.
Das Appartement stünde ja leer, nur im Sommer sollte ich bitte vorher anrufen, weil dann ja die Familie käme.
Das Heizungsproblem hatten wir inzwischen gelöst, ich hatte ihr gezeigt, wie man die Zeitschaltuhr anders einstellen konnte und sie nahm es ohne Geiz an.
So schieden wir in Frieden.
Sie beharrte darauf, mir an einem Bügel die Reiseasche zur S-Bahn tragen zu helfen, winkte, und dann verschwand sie in der Vergangenheit.

Ich werde nicht mehr hinfahren.

Alles Liebe,
Geli
 
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